Suche
Close this search box.
favicon 19.4.223

Sabine Riedel

Schottland, Wales und Nordirland verstärken ihren Einfluss auf die Europapolitik

ZUSAMMENFASSUNG:

Die Parlamentswahlen vom Juni 2017 haben die Position der britischen Premierministerin Theresa May geschwächt. Dennoch erreichte sie für die Tories die höchsten Gewinne seit Margaret Thatcher. Der Verlust von 13 Sitzen und der Parlamentsmehrheit ist dem Mehrheitswahlsystem geschuldet. Labour dagegen konnte ein Plus von 30 Sitzen verbuchen, obwohl sie den Austritt aus der EU befürwortet, dafür aber soziale Abfederungen verlangt. Die eigentlichen Verlierer sind die schottischen Nationalisten (SNP), die nun 21 ihrer 56 Mandate abgeben müssen. Ihre Forderung nach einem neuen Unabhängigkeitsreferendum im Windschatten des Austritts aus der EU haben viele Wähler nicht goutiert. Diese bevorzugen einen »weichen« Brexit, also einen Verbleib Schottlands im Vereinigten Königreich und im Binnenmarkt der EU. 

In Nordirland wiederum polarisierte sich die Wählerschaft. Dort gewannen sowohl die nordirischen Konservativen (DUP) als auch die irisch-republikanische Sinn Féin (SF) Stimmen hinzu. Während die DUP auf einen »weichen« Brexit drängt, bevor sie eine Minderheitsregierung der Tories toleriert, wollen die irischen Nationalisten keine Kompromisse. Um in der EU zu bleiben, setzen sie auf eine Trennung vom Vereinigten Königreich. Dies können sie aber nur mit Unterstützung von außen erreichen, etwa mit einer EU, die auf einem »harten« Brexit besteht. Brüssel würde in diesem Fall den Frieden in Nordirland aufs Spiel setzen.

EINLEITUNG:

Gemessen am Ziel, ihre absolute Mehrheit im britischen Unterhaus auszubauen, hat Theresa May einen Rückschlag erlitten. Trotz eines Stimmenzuwachses von 5,5 Prozentpunkten auf 42,4 Prozent verloren die Konservativen 13 Abgeordnetensitze und sind nun auf Unterstützung durch eine zweite Partei angewiesen. Besonders für den Brexit ist dies politisch brisant. Denn Anfang 2017 fällte der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs (Großbritannien und Nordirland) ein Grundsatzurteil: 

Die Austrittserklärung könne nicht durch ein Referendum legitimiert werden, sondern bedürfe einer Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Überraschend fiel die richterlich erzwungene Abstimmung für May positiv aus: Drei Viertel der Abgeordneten, nämlich 494, votierten für den Brexit-Antrag der Regierung, 122 dagegen. Damit hatte die Premierministerin die Reihen der 
Befürworter geschlossen, aber auch in allen politischen Parteien Begehrlichkeiten geweckt, ihre jeweiligen Interessen in die Brexit-Verhandlungen einzubringen. May erlag der Versuchung, durch Neuwahlen auch ihre Position zu stärken. […]

HARTER BREXIT ODER ROSIENENPICKEREI?

Spätestens mit den Parlamentswahlen trat der Unterschied zwischen Labour und den Tories in europapolitischen Fragen zutage. Corbyn steht für einen »weichen« Brexit. So will er zwar die Arbeitnehmerfreizügigkeit aufkündigen, aber den Zugang zum Binnenmarkt erhalten. Dagegen präsentieren sich May und ihr Minister für den Austritt aus der EU, David Davis, als Vertreter eines »harten« Brexit. Demnach soll das Vereinigte Königreich sowohl den Binnenmarkt als auch die Zollunion verlassen. Damit möchte die Regierung alle Steuerungsinstrumente wieder in nationale Verantwortung nehmen, sowohl in der Zoll- und Handelspolitik als auch in der Migrations- und Arbeitsmarktpolitik. 

Mit dieser klaren Position stößt die britische Regierung auf wenig Widerstand bei den EU-Vertretern, mit denen sie die Austrittsverhandlungen führen wird. Schon kurz nach dem Brexit-Referendum hatten sie gegenüber London klargestellt, dass es mit ihnen keine »Rosinenpickerei« geben werde. Diese Haltung des Entweder-oder übernahmen auch die Staats- und Regierungschefs der EU. Auf dem EU-Sondergipfel am 29. April 2017 beschloss der Europäische Rat in Brüssel einstimmig seine Leitlinien für die Austrittsverhandlungen.

Er besteht darauf, dass die vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts zusammengehören und nicht einzeln verhandelbar sind. Dies sind der freie Warenverkehr, der freie Kapital- und Zahlungsverkehr, die Dienstleistungsfreiheit sowie die Personen- beziehungsweise Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Mit dieser Drohung hat die EU aber nicht in erster Linie der britischen Regierung, sondern eher der Opposition und damit den britischen EU-Befürwortern geschadet, die nicht alle Brücken zum Binnenmarkt der EU abbrechen möchten. Ein solches Verhandlungsziel als »Rosinenpickerei« zu
bezeichnen suggeriert, dass sich das Königreich dadurch Vorteile gegenüber Staaten der EU verschaffen wolle […]