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INHALT:

1    Einleitung 
2    Katalonien zwischen Selbstverwaltung und Eigenstaatlichkeit 
      2.1    Argumente der Regionalregierung für Kataloniens Unabhängigkeit  
      2.2    Katalonien als Teil Spaniens seit seiner Gründung (1516) 
      2.3    Die Entwicklung der katalanischen Autonomie seit dem Ende der Franco-Diktatur
3    Das spanische Königreich zwischen Reform und Zerfall
      3.1    Katalonien auf Konfrontationskurs gegen den spanischen Zentralstaat   
      3.2    Unterschiedliche Stimmen aus der spanischen Gesellschaft   
      3.3    Widersprüchliche Stellungnahmen aus anderen spanischen Regionen 
4    Europas Nationalstaaten unter Druck: Auflösung durch Neugründungen? 
      4.1    Das europäische Netzwerk des katalanischen und baskischen Separatismus 
      4.2    Die Sprachlosigkeit Brüssels gegenüber dem katalanischen Separatismus 
      4.3    Alternativen: EU-Schiedsstelle zur Schlichtung von Regionalkonflikten 

1.

EINLEITUNG:

Während sich eine Mehrheit der Schotten im Referendum vom 18. September 2014 dafür ausgesprochen hat, Teil des Vereinigten Königreichs zu bleiben, zeichnete sich in der spanischen Provinz Katalonien eine umgekehrte Entwicklung ab: Vor der Befragung vom 9. November 2014 rechnete die Regionalregierung fest mit einer mehrheitlichen Unterstützung für einen eigenen Staat. Allerdings fehlten im Unter-schied zum schottischen Fall die rechtlichen Voraussetzungen für ein Unabhängigkeitsreferendum. Es gab dafür weder eine Vereinbarung mit der Zentralregierung noch irgendeinen Dialog zugunsten einer einvernehmlichen Lösung. 

Umso mehr polarisierte sich das Meinungsbild: Von den 37 Prozent der katalanischen Bevölkerung im wahlfähigen Alter (ab 16 Jahren), die an der Befragung teilnahmen, stimmten 80,8 Prozent für einen unabhängigen katalanischen Staat. In diesem Arbeitspapier soll diese Konfliktlage analysiert werden, um den Blick für alternative Lösungsansätze frei zu machen. D.h. die Forderungen nach mehr demokratischer Partizipation der Bevölkerung Kataloniens, wie sie in verschiedenen Stellungnahmen der Regionalregierung durchscheinen, werden als erstes zur Sprache kommen. Die Behauptung, die Eigenstaatlichkeit sei der einzige Weg einer nachhaltigen Konfliktlösung, wird allerdings kritisch hinterfragt. Hierfür bedarf es einer Einschätzung der Vor- und Nachteile des spanischen Autonomiemodells, das nach der Franco-Diktatur im Jahre 1979 eingeführt und im Rahmen der EU-Mitgliedschaft Spaniens weiterentwickelt wurde.

Des Weiteren wird der ideologische Rahmen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung näher beleuchtet. Denn diese bezieht sich – stärker als die schottische Nationalbewegung – auf ihre Ideologie eines „progressiven“ und „demokratischen“ Nationalismus. Taugt ihr Nationskonzept tatsächlich dazu, den Frieden in Europa zu erhalten oder steigt im Gegenteil damit die Gefahr neuer innergesellschaftlicher und zwischenstaatlicher Konflikte? Hierzu wird ein Stimmungsbild aus den spanischen Nachbarregionen eingeholt. Einige liegen im Streit mit Barcelona um das kulturelle Erbe, während sie gleichzeitig befürchten, die Katalanen könnten inmitten der Wirtschaftskrise ihre nationale Solidarität aufkündigen, was schließlich auch die europäischen Steuerzahler verunsichern dürfte. Denn sie unterstützen Spanien mit einem Kredit in Höhe von 40 Milliarden aus dem ESM.
[…]

4.3

ALTERNATIVEN: EU-SCHIEDSSTELLE ZUR SCHLICHTUNG VON REGIONALKONFLIKTEN

Angesichts einer drohenden Zuspitzung der Konfliktlage in Katalonien nach der rechtlich umstrittenen Befragung am 9. November 2014 sollten sich die EU-Institutionen dieser Thematik annehmen. Wie oben gezeigt wurde, stellen die Unabhängigkeitsforderungen der Katalanen nicht nur die Existenz des spanischen Staats in Frage, sondern das gesamte System der EU. Es wirkt geradezu bedrohlich, dass sich deren Mitgliedstaaten demnächst gezwungen sehen könnten, in politische Reformen einzuwilligen, um einen noch größeren wirtschaftlichen Schaden abzuwenden. 

Doch sollten sie, entgegen allen Verträgen, Katalonien als neues Mitglied in ihren Reihen dulden oder gar aufnehmen, dann würde ein Damm brechen: Die Träume der separatistischen Parteien der EFA könnten aufgehen und sich die großen EU-Mitgliedstaaten nach dem Modell der Sprachnation in neue Kleinstaaten auflösen. Europapläne von solcher Tragweite bedürfen dringend einer öffentlichen Debatte. Gerade weil die separatistischen Parteien die verfassungsmäßige Ordnung ihrer Staaten und damit einen zentralen Konsens ihrer Demokratien aufkündigen, geht es hierbei um europäische Grundwerte (vgl. S. 22). Hierzu gehören gerade auch die Rechts- bzw. Vertragssicherheit. Autonomiestatute wurden ausgehandelt, damit die Regionen auf zentralstaatlicher Ebene Entscheidungen mitgestalten können. Sie sind eben nicht als Sprungbrett in eine Eigenstaatlichkeit gedacht. 

Regionalparteien, die dies anders sehen, verstoßen nicht nur gegen die eigenen Verträge und Vereinbarungen. Ihr Alleingang diskreditiert darüber hinaus das Streben anderer Regionen und Kommunen nach mehr Selbstverwaltungsrechten. Zudem zeigt sich in den aktuellen Beispielen wie Katalonien oder Schottland, dass die separatistischen Parteien kein wirkliches Gesamtkonzept vorzuweisen haben. Auch wenn ihr europäisches Bündnisse dies vortäuscht, so geht es ihnen allein um die Sicherung ihrer Privilegien und Vorteile als reichste Regionen ihrer jeweiligen Länder. Das Schicksal ihrer unmittelbaren Nahbarregionen interessiert sie nicht, es sei denn es geht um die Erweiterung ihrer politischen oder kulturellen Einflussnahme. An dieser Stelle offenbart sich der „demokratische“ Nationalismus der Mitgliedsorganisationen der EFA als dieselbe Ideologie, mit der im 19. und 20. Jahrhundert Staatsgrenzen verschoben wurden.

Eine Antwort auf die wachsenden Partizipationsforderungen seitens europäischer Regionen sollte jedoch Wege aufzeigen, die nicht bestehende Konfliktstrukturen bestätigt, sondern diese überwindet. Ein erster Schritt hierzu ist der Dialog, über den Argumente ausgetauscht werden können. In Großbritannien, das als Mutterland der Demokratie gilt, hat es tatsächlich solche Gespräche gegeben. Damit konnte zwar der Dissens zwischen Zentralregierung und Region nicht beseitigt werden. Ein größerer Schaden wurde aber vermieden und die Bevölkerung für Defizite im politischen System sensibilisiert. Im spanisch-katalanischen Konfliktfall haben die Beteiligten noch nicht einmal einen Gesprächsfaden aufgegriffen, so dass sich die Situation zuspitzen konnte. Auch wenn sich die Politiker nicht bewegt haben, so finden zumindest schon rege Diskussionen innerhalb der katalanischen Gesellschaft statt.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen lässt sich der Vorschlag ableiten, dass EU-Institutionen die Rolle einer neutralen Schiedsstelle für Regionalkonflikte übernehmen könnten. Deren Aufgabe wäre es, Beschwerden aus den Regionen über Defizite ihrer Selbstverwaltung entgegenzunehmen, die Konfliktparteien anzuhören und ihnen ein Forum für vermittelnde Gespräche zugeben. Diese Vermittlerposition wäre aber nur dann überzeugend zu leisten, wenn diese Instanz keine eigenen Machtbefugnisse erhält, sondern ausschließlich im derzeit geltenden Rechts-rahmen agiert. Denn die politischen Entscheidungen sollten auch weiterhin dort gefällt werden, wo sie demokratisch legitimiert sind, um neben der Selbstverwaltung auch die Selbstverantwortung der nationalen und regionalen Parlamente zu stärken.

So könnte das Europäische Parlament eine Initiative zur Gründung einer solchen Schiedsstelle bei der EU-Kommission starten, die z.B. den Status einer Agentur für besondere Aufgaben hätte. Aber auch von einzelnen EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland könnte eine solche Idee lanciert werden. Ob man diese Einrichtung z.B. als „Europäische Schiedsstelle für Regionalkonflikte“ bezeichnet oder grundsätzlicher als eine „Agentur zur inneuropäischen Konfliktprävention“ konzipiert, bleibt politischen Konsultationen überlassen. Wichtig wäre, dass ihre Arbeit von einem Ausschuss des Europäischen Parlaments kontrolliert wird. Er könnte dieser Schiedsstelle bzw. Agentur zusätzliche Impulse geben und Gleichzeit für die nötige Transparenz sorgen.

Bereits jetzt wartet eine Menge Arbeit auf eine solche Institution. Denn nicht nur in Katalonien und Schottland spitzt sich die Lage zu, auch in Italien, Belgien, Rumänien in der Slowakei haben separatistische Parteien regen Zulauf. In all diesen Beispielen zeigt sich das gleiche Muster, dass einseitige Interpretationen der Kulturgeschichte Feindbilder bestätigen. Diese lassen sich nur aufbrechen, wenn die Mehrdeutigkeit von Geschichtsbildern zugelassen und ein eher wachsender kultureller Pluralismus akzeptiert wird. Ohne diese Einsichten wird auch das Projekt der Europäischen Integration scheitern.