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Sabine Riedel

Beides zusammen wird Katalonien nicht bekommen

ZUSAMMENFASSUNG:

Seit der Verhaftung Carles Puigdemonts formiert sich eine Solidaritätsbewegung, die in dem katalanischen Ex-Regierungschef ein Opfer der Justiz sieht. Doch selbst wenn Deutschland eine Auslieferung verhindert, wird dies die Prozesse gegen die inhaftierten Regionalpolitiker in Madrid kaum beeinflussen. Die spanische Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten neben Rebellion auch die Veruntreuung von Geldern vor. Die Separatisten sollen Mittel aus dem Liquiditätsfonds für die autonomen Gemeinschaften (FLA) für ihre Unabhängigkeitskampagne zweckentfremdet haben. 

Seit der Finanzkrise 2012 muss Madrid überschuldete Regionen mit Krediten stützen, darunter auch Katalonien. Jährlich erhält Barcelona zwischen 6,7 (2012) und 11,1 Milliarden Euro (2015). Diese finanzielle Abhängigkeit ist für Katalonien ein weiteres Motiv, die Selbstständigkeit anzustreben. Denn es verspricht sich davon einen direkten Zugang zur Europäischen Zentralbank (EZB). Deshalb sollten die Europäer darüber nachdenken, wem sie ihre Solidarität schenken. Ein katalanischer Staat würde mit einem Schuldenberg auf die Welt kommen, den letztlich die anderen spanischen Regionen und
der europäische Steuerzahler zu schultern hätten.

AUSZUG:

Am 27. Oktober 2017 hob die spanische Zentralregierung nach Artikel 155 der Verfassung die katalanische Autonomie auf. Auch Madrid war klar, dass der Sezessionskonflikt mit dieser Maßnahme nicht gelöst werden kann. Vielmehr sollten Neuwahlen allen Beteiligten die Chance geben, ihr Gesicht zu wahren und zu einem Dialog zurückzufinden. Bereits am 10. Oktober 2017 hatte Ministerpräsident Mariano Rajoy der Einsetzung einer Kommission zugestimmt, die der Sozialistenführer Pedro Sánchez vorgeschlagen hatte. Sie soll ein Konzept zur Änderung des spanischen Autonomiensystems erarbeiten. Denn auch andere der 17 sogenannten autonomen Gemeinschaften in Spanien streben nach mehr finanzieller Selbstverwaltung. 

Dieses konkrete Angebot kam zwar recht spät, doch Madrid streckte damit sozusagen die Hand aus. Carles Puigdemont und seine abgesetzte Regionalregierung haben sie bis heute nicht ergriffen. Stattdessen unterschrieben sie am selben Tag eine Unabhängigkeitserklärung für Katalonien. Sie demonstrierten damit abermals ihre harte Position, nur über eine Eigenstaatlichkeit verhandeln zu wollen. Aus ihrer Sicht seien bereits alle Brücken zur Zentralregierung abgebrochen. Gespräche könnten nur noch über Modalitäten der Sezession geführt werden. Im Zuge solcher Verhandlungen soll in kürzester Zeit ein Wirtschaftsraum aufgeteilt werden, der über Jahrhunderte zusammengewachsen ist. […]

Europäische Solidarität mit wem?

Eine Reform des spanischen Autonomiensystems steht somit zurzeit noch in den Sternen. Allerdings gibt es hierzu keine sinnvolle Alternative. Denn eine Sezession Kataloniens oder des Baskenlands würde für alle einen großen wirtschaftlichen Schaden verursachen. Dieses Problem wird von den
Befürwortern gern heruntergespielt. Doch zeigen gerade die Brexit-Verhandlungen, dass eine wirtschaftliche Trennung weitaus teurer werden kann als anfangs dargestellt. Dabei geht es hier »nur« um den Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem europäischen Binnenmarkt. Im Falle Kataloniens soll ein Wirtschaftsraum aufgeteilt werden, der über Jahrhunderte 
zusammengewachsen ist.

Die enge Verflechtung der autonomen Gemeinschaften Spaniens kommt besonders deutlich beim regionalen Finanzausgleich zum Ausdruck. Weil sich die Regionen bislang auf keine gemeinsame Reform einigen konnten, gilt bis heute das System aus dem Jahre 2009. Danach fließt die Hälfte der erhobenen Steuern, so zum Beispiel aus der Einkommens- und Mehrwertsteuer, in die Regionen zurück. Damit werden die öffentlichen Dienstleistungen wie das Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem finanziert.

Da der Mittelbedarf der Regionen aber weit größer ist, haben sich die autonomen Gemeinschaften bei privaten Geldgebern verschuldet. Das funktionierte allerdings nur bis zum Krisenjahr 2012, als die Finanz-
märkte den Geldhahn zudrehten. Seitdem leihen sich die Gemeinschaften die notwendigen Finanzmittel vom Zentralstaat, der sie zu niedrigen Zinssätzen weiterreicht. Die Gesamtsumme dieser Kredite ist in den letzten sechs Jahren auf rund 232 Milliarden Euro angewachsen. Allein auf Katalonien
entfallen 70,9 Milliarden, was einem Anteil an der Gesamtsumme von 30 Prozent entspricht (El País, 17.2.2018). Dieser ist höher als der Beitrag Kataloniens zum spanischen Bruttoinlandsprodukt, der sich auf 19 Pro-
zent beläuft (IfW 2017, S. 15). […]