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Sabine Riedel

Zur auswärtigen Kulturpolitik islamischer Staaten

DER INTERRELIGIÖSE DIALOG ALS INSTRUMENT DER AUSWÄRTIGEN KULTURPOLITIK

Erste interreligiöse Dialog-Initiativen liegen bereits ein halbes Jahrhundert zurück, d.h. sie fallen in die Zeit des Kalten Krieges, in der sich interreligiöse Begegnungen der Erhaltung des Weltfriedens verpflichten (Peace). Größere Aufmerksamkeit erhielten sie aber erst im Verlauf der 1990er Jahre, als Samuel Huntington seine These vom »Kampf der Kulturen« publik machte, die den Ausbruch neuer globaler Konfliktlinien entlang religiöser Identitäten prognostizierte (Huntington 1993: 22). Um diesem Kulturpessimismus und religions- bzw. islamkritischen Ansatz entgegenzutreten, schlug der damalige iranische Staatspräsident Mohammad Khatami auf der UN-Generalversammlung vom 21.9.1998 vor, einen »Dialog der Kulturen« zu initiieren. 

So wurde am 4.11.1998 das Jahr 2001 zum »UN-Jahr des Dialogs zwischen den Zivilisationen« ausgerufen und der UNE¬SCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, die Federführung für weltweite Foren übertragen (UN¬ESCO 2001). Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft sollten über die UN-Charta diskutieren, um für »Toleranz in den internationalen Beziehungen« zu werben, »Bedrohungen in Frieden umzuwandeln sowie Interaktion und Austausch zwischen den Zivilisationen zu vertiefen«. (UN 1998) Zwei Jahre später legte der UN-Generalsekretär Kofi Annan erste konzeptionelle Grundlagen. Sie waren das Ergebnis eines »Round Table on Dialogue among Civilizations«, an denen 12 Staatsoberhäupter und 6 Außenminister teilgenommen hatten. 

Nicht zuletzt wirkten international bekannte Persönlichkeiten mit, so z.B. Richard von Weizsäcker, Jacques Delors, Hans Küng, Amartya Sen und Hannan Ashrawi. Darin wurde die kulturelle und religiöse »Diversität als ein fester Bestandteil der Universalität« bezeichnet, die hinter der Philosophie der Vereinten Nationen stehe. Demnach gehörten kulturelle »Vielfalt und der gemeinsame Nenner von Werten« zusammen (UN 2000: 2). Diese Kernaussage dient im Folgenden als roter Faden, denn hieraus leitet sich die Frage ab, ob den Initiatoren interkultureller bzw. interreligiöser Dialoge ein solcher Balanceakt gelingt, nämlich universelle Werte der UN-Charta wie dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit einzuhalten, während sie gleichzeitig in ihren jeweiligen Außenpolitiken den partikularen Interessen verfolgen?

DIALOG-INITIATIVEN ISLAMISCHER STAATEN ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT

Seit Beginn des neuen Jahrtausends ist ein enormer Anstieg an interkultu­rellen und interreligiösen Dialoginitiativen von globaler Reichweite zu verzeichnen. Theologen der Universität Oslo haben eine Liste von ca. 49 internationalen Initiativen erstellt, die allein den christlich-muslimischen Dialog fördern (Leirvik). Die meisten Initiativen kommen derzeit aus der MENA-Region, d.h. aus den muslimisch geprägten Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens, und sind vor allem an die westliche Welt bzw. an Europa gerichtet. 

An erster Stelle wurden sie vom Iran, der Türkei und Saudi-Arabien initiiert, die gleichzeitig als Konfliktparteien an gewaltsamen Konflikten des Nahen Ostens beteiligt sind. Daneben gibt es noch drei weitere Länder, deren Engagement zwar in Europa weniger bekannt ist, aber aus verschiedenen Gründen Aufmerksamkeit verdienen: So hat Ma­rokkos auswärtige Religions- und Kulturpolitik im Rahmen seiner Mitar­beit in der euromediterranen Anna-Lindh-Stiftung unmittelbare Auswir­kungen auf seine Migranten und deren Nachkommen in Europa. Die Initiative des Libanon ist von besonderem Interesse, weil er schon seit Jahrzehnten unter den Auswirkungen des Nahost-Konflikts leidet und deshalb über wertvolle Erfahrungen mit dem Dialog unterschiedlicher Konfessionen verfügt. 

Schließlich wurde in dieser Analyse noch Jordaniens Engagement für den interreligiösen Dialog aufgegriffen, weil es dort im Gegensatz zu Saudi-Arabien oder dem Iran tatsächlich mehr interreligiöse Begegnungen gibt und diesem Land eine religiöse Führungsrolle in den palästinensischen Autonomiegebieten zugestanden wurde.Um diese sechs ausgewählten Dialog-Initiativen abschließen miteinander vergleichen zu können, sollen die nachstehenden Länderanalysen einem Ähnlichen Muster folgen. Zunächst werden an Hand der verfügbaren Dokumente deren Ziele und institutionellen Rahmenbedingungen herausgearbeitet, wozu das Kulturverständnis aber auch Werte wie Demokratie, Toleranz und Rechtstaatlichkeit gehören. 

Des Weiteren interessiert die Verankerung der Dialog-Initiativen im initiierenden Staat selbst und demnach die Frage, inwieweit die formulierten Werte von anderen Akteuren geteilt werden. Drittens soll die Rolle der jeweiligen Dialog-Initiative in der auswärtigen Kultur- und Religionspolitik des initiierenden Staates zur Sprache kommen: Dient sie dem vorgegebenen Ziel eines friedlichen Dialogs der Religionen oder verbergen sich hinter der Vermittlerrolle womöglich regionale Machtansprüche. Dieser Aspekt leitet über zum letzten Fragezeichen, nämlich inwieweit sie eine Entwicklung der islamisch geprägten Welt in Richtung Demokratie und Rechtstaatlichkeit unterstützen. […]