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I. EINLEITUNG

Seit seiner Gründung als tributpflichtiges Fürstentum im Jahre 1878 bis zum heutigen demokratischen Regierungssystem hat Bulgarien nur zwei landesweite Referenden durchgeführt: Das erste Mal entschieden sich die Wahlberechtigten am 8. September 1946 mit 3.833 .183 Ja- und 175.234 Nein-Stimmen für die Abschaffung der Monarchie und die Einführung der Volksrepublik. Das zweite landesweite Referendum fand am 16. Mai 1971 statt. Bei einer Wahlbeteiligung von 99,70 Prozent – diese war im sozialistischen System obligatorisch – bestätigten 99,66 Prozent die Annahme der neuen Verfassung von Todor Živkov (18.5.1971). 

Bemerkenswert an diesen beiden Volksabstimmungen ist jedoch, dass sie eher der Legitimierung bestehender Herrschaftsverhältnisse dienten als einer Erweiterung politischer Partizipationsrechte. Dies lässt sich allein schon daran ablesen, dass es in dieser Zeitspanne keine entsprechenden rechtlichen Grundlagen dafür gab. Zwar wurde bereits im Jahre 1909 ein Gesetz über Volksbefragung zu kommunalen Angelegenheiten verabschiedet. Doch blieb es während der Königsdiktatur, d.h. seit 1934 suspendiert, bis die Dimitrov-Verfassung (4.12.1947) in Anlehnung an das Gesetz von 1909 lokale Abstimmungen wieder erlaubte.

Dennoch ist es auf den ersten Blick verwunderlich, wenn 50 Jahre nach Abschaffung der Monarchie plötzlich Juristen die Legitimität der Volksabstimmung von 1946 anzweifelten und endgültig geklärt sehen wollten. Diese Kontroverse gipfelte Ende 1998 in einer Initiative des damaligen Generalstaatsanwalts Ivan Tatarčev. Er rief das Verfassungsgericht an, um die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vorn 2. August 1946 prüfen zu lassen, welches die juristische Grundlage zur Durchführung des Referendums, zur Einberufung der Großen Nationalversammlung und zur Ausarbeitung der Dimitrov-Verfassung darstellte. 

Seinem Rechtsverständnis nach verstieß dieses Gesetz nicht nur gegen die damals gültige Tămovo-Verfassung (16.128.4.1879), die noch keine plebiszitären Elemente kannte und eine Änderung der Staatsform nur durch die Einberufung der Großen Nationalversammlung ermöglicht hätte. Darüber hinaus sei diese Rechtsnorm trotz der gravierenden Veränderungen über zwei Systemwechsel hinweg immer noch gültig und könne somit ein erneutes Referendum zur Veränderung der Staatsform legitimieren. Einer solchen juristischen Interpretation setzte erst die Entscheidung des bulgarischen Verfassungsgerichts vom 19. Januar 1999 ein Ende, indem es die Anfrage des Generalstaatsanwalts damit beantwortete, dass es dieses Gesetz nach dem alten wie auch nach dem heutigen Rechtssystem für verfassungswidrig erklärte. 

Auch wenn das Verfassungsgericht in dieser Frage eine klare Entscheidung getroffen hatte, hält die Diskussion um die Verfassungswidrigkeit des Referendums von 1946 über die Abschaffung der Monarchie bis heute an. So geben Juristen zu bedenken, dass auch bei der demokratischen Wende bereits das alte bulgarische Parlament die Staatsform geändert und erst danach die Große Nationalversammlung einberufen habe, um am 12.7.2001 die neue demokratische Verfassung zu verabschieden. 

In der Tat wurde der politische Systemwechsel bereits im April 1990 vollzogen, als eine Mehrheit der kommunistischen bzw. sozialistischen Abgeordneten einige Verfassungsartikel revidierte, die Bulgarien als einen demokratischen und parlamentarischen Rechtsstaat definierten und das Prinzip des politischen Pluralismus verankerten. Da heute keiner Anstoß an diesem Weg zum jüngsten Systemwechsel nimmt, steht weniger die Abfolge der Reformschritte sondern das Referendum selbst als politisches Instrument im Zentrum der Kritik. Denn rückblickend auf die eigenen historischen Erfahrungen sehen viele Bulgaren hierin eher eine Gefahr der Manipulation und Legitimierung bestehender Machtverhältnisse, wie dies nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetischem Einfluss der Fall gewesen war. 

So hatte es der langjährige Staats-und Regierungschef Todor Živkov nicht nur verstanden, das Referendum von 1971 zur Erweiterung seiner Machtbefugnisse und die seiner kommunistischen Partei zu instrumentalisieren. Darüber hinaus hoffte er die Legitimität seines autoritären Regimes dadurch zu stärken, indem er erstmals in der bulgarischen Geschichte auch landesweite Referenden zuließ. In Anlehnung an das Gesetz von 1909 wurde im Jahre 1983 das Gesetz über Volksbefragung (Referendum) auf den Weg gebracht und in den folgenden Jahren verschiedentlich novelliert.  […]