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Volume 6, 2022/7, Sept 1, 30 pages  ♦  pdf-Format

Sabine Riedel

"DIE WAFFEN NIEDER!" (BERTHA VON SUTTNER)

Der Ukraine-Krieg im Kontext europäischer Politik und transatlantischen Interessen

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INHALT:

  • UN-Resolution: Russland verletzt Völkerrecht 
  • Bedrohungsvorstellungen Russlands
  • Verstöße der USA gegen das Völkerrecht
  • Die Osterweiterung der NATO
  • Die Ukraine stellt Verzicht auf Atomwaffen in Frage
  • Kein Versprechen auf eine EU-Mitgliedschaft
  • Deutschland könnte zum Ende des Kriegs beitragen 

Gesamtverzeichnis FPK/CPI

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Die 30 Seiten enthalten:
Analyse, Zusammenfassung,
12 Abbildungen und Quellentexte,
230 Quellen (verlinkt)

EINLEITUNG

Der 1. September steht in Deutschland alljährlich unter dem Motto „Nie wieder Krieg!“ Dieser Gedenktag an die Opfer beider Weltkriege geht auf die Österreicherin Bertha von Suttner zurück. Vor 133 Jahren schrieb sie ihre Autobiographie „Die Waffen nieder!“, die zu einem der erfolgreichsten Bücher der weltweiten Friedensbewegung wurde. Wegen ihrer Initiativen für die Erste Haager Friedenskonferenz (1899), für Abrüstungsverhandlungen und internationale Schiedsgerichte erhielt sie im Jahre 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis. Zu ihrem Vermächtnis gehört die Erkenntnis, dass kein Ziel das Mittel des Krieges rechtfertigt. Dies gilt umso mehr für unsere heutige Zeit, in der biologische und atomare Waffen die Existenz der gesamten Menschheit bedrohen.

Die Medien westlicher Demokratien versagen als „vierte Gewalt“, wenn sie den Ukraine-Krieg allein mit einer russischen Außenpolitik erklären, die unter Präsident Putin auf Expansion angelegt sei. Es hat einen manipulativen Effekt, die Ukraine nur als Opfer russischer Aggression darzustellen, ohne nach deren Mitverantwortung zu fragen. Umso mehr ist die wissenschaftliche Analyse gefragt, die Hintergründe, Zusammenhänge und Interessenslage der Konfliktparteien beleuchtet. Erst dann können Außenstehende kompetent entscheiden, wer in diesem Krieg ihre Solidarität verdient und an welche Bedingungen diese zugunsten einer Friedenslösung zu knüpfen sind.   

Eine Schlussfolgerung ist, dass nur mehr Realismus in der internationalen Politik diesen Krieg beenden kann. Der idealistische Ansatz hat sich erschöpft, weil er einen Verteidigungskrieg rechtfertigt, der militärisch nicht zu gewinnen ist. Zudem hat die ukrainische Regierung ihr Kriegsziel in Richtung Rückeroberung der Krim verschoben, weshalb die Lage im AKW Saporischschja droht, eine nukleare Katastrophe auszulösen. Auch ist die Ukraine EU-Berichten zufolge ein oligarchisches, kein demokratisches System, das schon vor Kriegsbeginn wirtschaftlich am Abgrund stand. Der von Kiew geforderte rasche EU-Beitritt ist auch deshalb völlig illusorisch.

Die Ukraine droht der NATO seit 2021 mit einer atomaren Wiederaufrüstung, falls sie dem westlichen Militärbündnis nicht beitreten könne. Mit ihrer Unabhängigkeit 1991 wurde sie die drittgrößte Atommacht der Welt, bis sie 1994 auf ihre Atomwaffen verzichtete und dem Atomwaffensperrvertrag beitrat. Die Bedrohungsperzeption Russlands, dass Kiew mit Unterstützung von NATO und EU neben Biowaffen auch Atomwaffen erforscht, könnte einen realen Kern haben und sich als Auslöser des Ukraine-Kriegs erweisen. In dieser Phase des Kriegs sind deshalb neutrale Inspektoren gefragt, die den Konflikt auf die Sachebene zurückführen und damit Lösungen aufzeigen. Daran müssten alle Interesse haben, die Kriegsparteien selbst wie auch deren Unterstützerstaaten.

Bertha von Suttner, 1889:

„Was uns zarten Jungfräulein […] für Schauderbilder aus allen Schlachten der Erde […] vorgeführt werden, […]. Natürlich wird durch diese Aufhäufung und Wiederholung der Gräuel das Verständnis, daß es Gräuel sind, abgestumpft; alles, was in die Rubrik Krieg gehört, wird nicht mehr vom Standpunkte der Menschlichkeit betrachtet – und erhält eine ganz besondere, mystisch-historisch-politische Weihe. Es muß sein – es ist die Quelle der höchsten Würden und Ehren – das sehen die Mädchen ganz gut ein […]. Und so entstehen die spartanischen Mütter und die ‚Fahnenmütter‘ […].“ In: Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte, 1. Aufl., Dresden 1889, Ausgabe der Deutschen Literaturgesellschaft, Berlin 2016, S. 9.

Die Energiepolitik zeigt, dass sich die nationalen Interessen Deutschlands von denen anderer Staaten und der EU-Institutionen unterscheiden. Ohne eine Standortbestimmung der eigenen Positionen kann die Bundesrepublik wirtschaftlich weder produktiv und innovativ sein noch zielführend mit anderen Staaten zusammenarbeiten. Wenn Abgeordnete des deutschen Bundestags in weiser Voraussicht auf mögliche Notlagen im Winter 2022 vorschlagen, die neu gebaute Gaspipeline Nord Stream 2 zu öffnen, sollten diese Stimmen gehört werden (berliner-zeitung, 19.8.2022, bundestag.de, 7.7.2022). Ihr Vorschlag, den Konfrontationskurs gegen Russland zu korrigieren und stattdessen einen Interessensausgleich zu suchen, folgt dem Ansatz des Realismus in der internationalen Politik.

Dieser wird nicht nur von US-amerikanischen Politikwissenschaftlern wie John Mearsheimer vertreten (s.o.), sondern durch eigene historische Erfahrungen untermauert. Im Jahre 1972, genau vor 50 Jahren, unterzeichnete die deutsche Bundesregierung inmitten des Kalten Krieges die Ostverträge, die eine Zeitenwende markierten (bpb.de, 17.5.2022). Denn der Warschauer und Moskauer Vertrag legten den Grundstein für eine Annäherung der damaligen Systemgegner, USA und Sowjetunion, die in den beiden deutschen Staaten ihre Atomwaffen in Stellung gebracht hatten. Ohne diesen ersten Schritt wären weder der KSZE-Prozess (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im Jahre 1975 noch nachfolgende Abrüstungsverträge zustande gekommen (focus.de, 10.9.2015). Die Weichen für die neue deutsche Ostpolitik stellte das Erdgas-Röhren-Geschäft zwischen Westdeutschland und der UdSSR, das der Sanktionspolitik der NATO eine friedenspolitische Alternative entgegensetzte.  [S. 21]