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Volume 5, 2021/1, Jan 18, 13 pages  ♦  pdf-Format

Sabine Riedel

KONTROVERSEN UM DEN BREXIT

Diskursanalyse, Integrationstheorien und Ordoliberalismus bieten Erkenntnis und Orientierung 

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INHALT:

  • Die Diskursanalyse untersucht Regeln zur Teilnahme, Kontrolle und Steuerung
  • Funktionalismus – Neofunktionalismus: Konkurrierende Integrationskonzepte für Europa seit 1945
  • Ordoliberalismus: Die Interdependenz von Staats- und Wirtschaftsordnung
  • Fazit

Gesamtverzeichnis FPK/CPI

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Die 13 Seiten enthalten:
Analyse, Zusammenfassung,
6 Abbildungen und Quellentexte,
69 Quellen (verlinkt).

EINLEITUNG

Die Berichterstattung über die (Post-)Brexit-Verhandlungen 2019–2020 ist ein Lehrbeispiel dafür, wie Medien immer stärker gesellschaftliche Diskurse steuern und Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse nehmen, die eigentlich in die Hand des Souveräns gehören, den Staatsbürgern. Die Diskursanalyse Foucaults macht mediale Techniken bewusst, um das Nichtgesagte zu erkennen, Doktrinen zu hinterfragen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. So wird deutlich, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs (VK) für die Europäischen Union (EU) mehr bedeutet als der Verlust eines Mitglieds. Es geht um die Deutungshoheit über „Europa“ und darüber, welche Richtung die Europäische Integration einschlagen soll.  

Die Mehrdeutigkeit der Europabewegung hat in diesem Diskurs keinen Platz mehr und das Narrativ eines naturwüchsigen „Spill-over“ (Neofunktionalismus) von Machtbefugnissen auf Brüssel wird so zur einzigen Wahrheit. Die funktionalistische Theorie, die von einer Kooperation souveräner Staaten ausgeht, soll für die Europapolitik nicht mehr gelten. Wohl deshalb wurde den nationalen Parlamenten vorenthalten, dass Brüssel neben dem Handelsvertrag, noch weitere Abkommen mit dem VK abgeschlossen hat, u.a. zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Schließlich kann der Ansatz des Ordoliberalismus den Dissens der Verhandlungen erklären: Die EU-Verhandlungsführer stellen die Souveränität des Binnenmarktes über die von Staaten.

„Drei große Ausschließungssysteme treffen den Diskurs: Das verbotene Wort, die Ausgrenzung des Wahnsinns, der Wille zur Wahrheit.“ 


(Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, 2.12.1970; dt. 2019:16)

Seitdem Foucaults Diskursanalyse in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum rezipiert wird, haben Sozialwissenschaftler diesen theoretischen Ansatz an ihre jeweilige Teildisziplin angepasst und weiterentwickelt (Keller u.a. 2011). Obwohl sich alle Autoren auf Michel Foucault berufen, so entfernten sich dabei nicht wenige von dessen ursprünglichen Kernpunkten. Die einen betrachten die Diskursanalyse heute als ein nützliches Set an Methoden der empirischen Sozialforschung zur Inhaltsanalyse von Debatten (Diaz-Bone 2006). 

Andere wiederum verwenden sie als „politisches Konzept“, um Diskurse nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern selbst zu initiieren und auf deren Verlauf Einfluss zu nehmen (Jäger/Jäger 2007: 37). Angesichts dieser Vielfalt an Interpretationen erscheint es sinnvoll, zum Original zurückzukehren und die wesentlichen Elemente der Diskursanalyse Foucaults in diesem thematischen Rahmen vorzustellen.

Als Strukturalist interessiert sich Foucault für die „Ordnung des Diskurses“, die durch „Prozeduren“ bzw. Verfahren konstituiert wird (Foucault 1970: 11): Kurz dargestellt unterschiedet der Autor zwischen den äußeren Kontrollverfahren, die über das Aufkommen von Diskursen entscheiden, den inneren Verfahren zur Steuerung von Inhalten bzw. deren Interpretationen und schließlich den Verfahren zur Regelung des Zugangs zu Diskursen und damit zur Begrenzung der beteiligten Akteure. Alle drei Verfahrensklassen zeigen sich in verschiedenen Ausprägungen, von den im Folgenden einige herausgegriffen und auf die Brexit-Verhandlungen angewandt werden. Dabei beschränkt sich diese Analyse auf Diskurse in deutschsprachigen Medien unter der Fragestellung, wie der Diskurs über die Austrittsverhandlungen auf Seiten der EU und deren Mitgliedstaaten geführt wurde.   

Foucaults theoretischer Ansatz erweist sich bereits in Bezug auf die äußeren Kontrollmechanismen als sehr hilfreich, um den Diskursverlauf der Jahre 2019-2020 nachzuvollziehen. Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Grenzziehungen, die ein wichtiges Instrument zur Diskurskontrolle darstellen, nämlich die Unterscheidung zwischen wahr und falsch und die „Unterscheidung zwischen Wahnsinn und Vernunft“ (Foucault 1970: 11 f.).  …[S. 3f.]